Punkte sammeln im Wanderpass macht allen Spaß
Der Wanderpass muss mit auf den Berg
Stellen Sie sich vor: Sie sehen auf einer der Almen ein älteres Paar, beide schon über 70. Am Stempelkasten legen sie ihre Wanderstöcke ab, nehmen ihren Wanderpass und drücken den Stempel hinein. Diese Leidenschaft für das Punkte sammeln hat einen guten und schönen Grund. Herr und Frau Möbius waren so nett und haben uns diesen in einem Interview näher gebracht.
Herr Möbius, seit wann wandern Sie in Annaberg-Lungötz?
„Im September 1996 fiel mein Blick beim Lesen unserer Tageszeitung auf eine Annonce: Ferien auf dem Bauernhof, Gästering Lammerthal. Eine Internetadresse führte uns letzten Endes nach Annaberg auf einen schönen Bauernhof. Dort eröffnete sich für unseren jüngeren Sohn Steffen eine völlig neue Welt.“
War Ihnen selber das Leben auf dem Land vertraut?
„Ich war vor meiner Schulzeit oft bei den Großeltern auf dem Dorf. Dort schaute ich mit den anderen Kindern des Dorfes in Schweineställe, besuchte die Schafherde vor dem Austrieb, die in einer großen Scheune untergebracht war. Die Großeltern nahmen mich mit zum Kartoffelstoppeln.
Während der Schulzeit zog es mich auch auf einen Bauernhof, wo ich mit den Kindern und Frauen des Dorfes zum Rübenverziehen, Kartoffellesen, Zwiebeln und Futterrüben ernten ging. Es gab immerhin eine Mark in der Stunde. Mit diesem Vorleben war es klar, dass ich als Erwachsener mit meiner Familie auf einem Bauernhof Urlaub machte, wo sonst?“
War Urlaub auf einem Bauernhof in Annaberg die richtige Entscheidung?
„Steffen fand mit Matthias und Martin, den Kindern der Gastgeber, die richtigen Gefährten. Sie waren etwa in seinem Alter und wir so gut wie überflüssig, wenn wir in unserem Quartier waren. Zum Wandern im Lammertal brauchte es noch Motivation. Wir als Eltern waren es gewohnt, als Kinder weite Strecken zu Fuß zu gehen. Steffen wurde jeden Tag zur Schule gefahren. Die Entfernung betrug 3,3 km. Für Flachlandtiroler schon eine weitere Strecke. So war ich hocherfreut, als ich in der Gästeinformation in Annaberg die Wanderhefte zum Eintragen der Stempel mit den Punkten entdeckte. Wer hätte das gedacht? Damit hatten wir eine Möglichkeit, unseren Sohn zu motivieren. Nun wurden unsere Wege von den Stempelstellen bestimmt.“
Erinnern Sie sich noch an eine besonders schöne Tour?
„Nach einigen Sommerurlauben entdeckte ich, dass wir fit genug für den Großen Donnerkogel waren und ich stieg mit Steffen hoch. Steffen wollte Erfinder werden. Während ich beim Aufstieg schnaufte und japste, diskutierte Steffen mit mir über seine Erfindungen und erwartete von mir Antworten auf seine zahlreichen Fragen. Ich hatte den Eindruck, dass er den Donnerkogel gar nicht so richtig wahrnahm. Der Ausblick beeindruckte ihn aber dann doch.
So wurden im Laufe der Jahre viele Almen besucht, manches Glas herrlicher Milch getrunken und manches Stück Käse mit ins Quartier genommen. Auch den Lienzerweg sind wir einige Male von der Hofalm zur Adamekhütte und zum Parkplatz am Gosausee gegangen.
Dabei war es so, dass wir darauf achtgeben mussten, dass die Stempel und die Punkte in den Wanderpass kamen. Steffens Ehrgeiz war da doch nicht sehr ausgeprägt.
2002 wurde Steffen siebzehn Jahre alt. Da stand ich dann im Sommer mit ihm auf dem Großklockner. Wer hätte das am Anfang gedacht?“
Die Leidenschaft für das Wandern blieb weiterhin?
„Wie das im Leben so ist, der Sommer, als wir auf den Großglockner gingen, war das letzte Mal, dass Steffen mit uns in den Urlaub fahren wollte. Und das ist ja auch gut so, wenn junge Menschen selbstständig werden. Alleine in Bergen wollte ich nicht unterwegs sein. So kündigte ich meine Mitgliedschaft im Alpenverein. Im Alter komme ich bestimmt nicht mehr auf die Berge, dachte ich.“
Aber manchmal kommt es eben anders?
„Viele Jahre vergingen und die Kinder unseres älteren Sohnes wuchsen heran. „Was meinst du“, fragte ich meine Frau im Herbst 2013, sollten wir Gabriel und Helga fragen, ob wir mit unseren Enkelkindern einmal nach Annaberg fahren können?“ Zu unserer Freude bekamen wir die Erlaubnis. Die Berge im Kopf, hatte ich doch glatt vergessen, daß wir nun wirklich alt waren. Mirjam war 8 Jahre, 10 Jahre war Ruben und 12 Jahre Rahel.“
Waren die Kinder leicht zum Wandern zu motivieren?
„Von Steffen kannten wir ja die Motivation durch das Sammeln der Punkte im Wanderpass. So führte uns der erste Weg in die Touristeninformation nach Annaberg. Dort bekamen die Drei ihren Wanderpass, Karten und weitere Informationen, was es so Interessantes zu unternehmen gäbe. So wie mit unserem Sohn, begannen wir mit unseren Enkeln, die Stempelstellen aufzusuchen. Unerwartet war die Reaktion. Bald begannen sie Ziele mit hoher Punktzahl auszuwählen. Kein Stempel wurde ausgelassen. Ein wahrer Konkurrenzkampf entbrannte.“
Es wurden also fleißig Punkte für den Wanderpass gesammelt?
„An einem Tag liefen wir die Straße vom Lammertal zur Riedelkaralm. Dort wärmten wir uns mit einer heißen Nudelsuppe auf, denn es war richtig kalt. Die nächsten Punkte gab es auf der Zwieselalmhütte. Nach der Zwieselalmhöhe ging es zur Sonnenalm. Die Gablonzer Hütte lag auf dem Weg zur Stuhlalm. Auf dem Weg zur Stuhlalm wären sie am liebsten noch auf den Donnerkogel gestiegen, und das um 16 Uhr. Auch die Theodor Körner Hütte wurde noch abgegrast, bevor es wieder ins Quartier ging.“
Der Wanderpass hat den Kindern also Spaß gemacht?
„Statt anzuspornen mußten wir bremsen. Bei der Abreise hatten sie dann schon einige Wanderabzeichen. Allerdings gab es ja noch viel mehr und bessere. So ist es nicht verwunderlich, dass sie auch die nächsten drei Jahre mit ihren Eltern auf Punktejagd gingen.“
Waren dabei auch größere Touren geplant?
„Es ist nicht jedermanns Sache auf den Donnerkogel oder andere Gipfel zu klettern. Also, sagte sich der Opa, dem Enkel muß geholfen werden. So kam es zu einem gemeinsamen Urlaub 2018 mit der ganzen Familie unseres ältesten Sohnes.“
Die Kinder haben weiter fleißig Punkte gesammelt?
„Am Anfang ging es wieder zur Touristeninformation. Dort wurden neue Wanderpässe geholt. Und dann passierte es: Unsere jüngste Enkelin, 12 Jahre alt, drückte uns zwei Wanderpässe in die Hand. „Ihr müßt auch Punkte sammeln!“ Was sollten wir machen? Deshalb wundern Sie sich nicht, wenn da eine Oma und ein Opa, beide über siebzig, Punkte sammeln.“
Was wurde mit der Tour auf den Donnerkogel?
„Da rief uns unser Enkel vor dem Urlaub an. „Opa da gibt es eine schöne Tour von der Stuhlalm über den Strichkogel zum Donnerkogel.“ Das sah auf der Karte gut aus, und ich freundete mich damit an. Ich dachte weder an mein Alter, noch daran, daß ich meine Mitgliedschaft im Alpenverein gekündigt hatte.
Nach vier Tagen auf bekannten Strecken, haben wir es versucht. Vom Parkplatz unterhalb der Stuhlalm ging es über die Stuhlalm zum Strichkogel. Das hätte mir schon gereicht. Doch was macht man, wenn ein Enkel von vierzehn Jahren sich auf diese Tour freut?
Frisch gestärkt ging es vom Strichkogel auf den Weg zurück. Dort trafen wir einen Vater mit zwei Söhnen im Alter von ca. 8-10 Jahren. Sie kamen von der Gablonzer Hütte über den Donnerkogel. Dann schaffen wir das auch, dachte ich. Und es wurde ein schönes Erlebnis. Erst recht der Lienzer Weg von der Hofalm über die Adamekhütte zum Parkplatz am Gosausee.
Da fiel mir ein, daß ich kein Mitglied mehr im Alpenverein war, mein Enkel auch nicht. Sehr leichtsinnig. Das wird geändert, damit auch bei einem Mißgeschick, die Freude ungetrübt bleibt und keine hohen Kosten für eine Rettungsaktion entstehen.
Jedenfalls haben Enkel und Opa sich mächtig gefreut. Hinterher war ich ziemlich fertig, während Ruben mit dem Rucksack noch zwanzig Liegestütze machte. Für mich war es mit 71 Jahren keine Selbstverständlichkeit mehr. Still und dankbar dachte ich an das was wir zusammen erleben durften.“
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